Tokoglifos
Die gesellschaftlichen Schieflagen und ihre Verursacher
Leseprobe:
1. Vorwort
Diese Aufzeichnungen stellen eine Chronik einiger meiner Gespräche und Überlegungen dar, die ich in den Jahren 2011 bis 2016 vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Problemstellungen geführt habe. Meine ur-sprüngliche Intention war es, einen Aufsatz über grundlegende Defizite im deutschen Bildungssystem zu verfassen. Nach wenigen Monaten der Arbeit wurde mir allerdings klar, dass die Schieflagen im Bildungsbereich gleichermaßen Ursache und Triebkraft für mannigfaltige Probleme in unserer Gesellschaft sind. Ich unterbrach daraufhin mein Vor-haben und begann mit dieser gesellschaftskritischen Schrift.
Meine Grundintention ist eine Welt ohne Armut und Not, in welcher der Wohlstand gleichmäßig verteilt ist. Eine Welt, in der alle Menschen und alle Nationen in friedlicher Koexistenz miteinander (über-)leben können.
Eine solche Zukunft ist möglich!
Das Problem liegt nicht darin, dass zu wenige Ressourcen für alle vorhanden sind. Nein, so banal es auch klingen mag, die verhängnisvollen globalen Schieflagen sind die Auswirkungen eines absolut falschen Wirtschafts- und Finanzsystems.
Durch Kriege werden täglich Tausende Menschen getötet, unzählige andere verlieren ihre Lebensgrundlage.
Aus welchen Gründen werden die vielen Kriege geführt?
Unser Ökosystem Erde ist in vielen Bereichen irreversibel beschädigt, und die Zerstörung nimmt tagtäglich zu.
Was sind die konkreten Ursachen der immensen Umweltprobleme?
Gegenwärtig arbeitet die überwiegende Mehrheit der Menschen täglich 10, 12 Stunden und mehr. Sie arbeiten hart, opfern oftmals ihre Gesundheit, und trotz aller Bemühungen schaffen sie es nicht, sich ein finanziell abgesichertes Leben aufzubauen. Andere hingegen haben in ihrem Leben kaum gearbeitet und leben mit ihren Familien, selbst in zukünftige Generationen hinein, in Reichtum und Luxus.
Warum werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer?
Das sind zentrale Fragen unserer Zeit, denen wir uns stellen und auf die wir eine praktikable Antwort finden müssen.
Während der Recherche zu diesen Themen – mein Dank gilt insbesondere meiner Familie, meinen Freunden und Gesprächspartnern, meinen Studierenden und dem noch freien Internet – stieß ich auf eine Vielzahl von gewichtigen Details und Hintergrundinformationen, verfasst von unabhängigen Wissenschaftlern, Journalisten und Autoren, die mir manche, mir zuvor nicht bekannten gesellschaftlichen Zusammenhänge verdeutlichten.
Im Bewusstsein jahrelanger persönlicher politischer Begrenztheit und Kritiklosigkeit, die in unserer Gesellschaft, so scheint es, gewollt ist, die ich derart aber nicht länger akzeptieren kann, schreibe ich diese Zeilen – meinen Mitmenschen zur Information.
Ich erkenne heute mit absoluter Gewissheit, dass die überwiegende Mehrheit aller Menschen, gleichgültig welchen Alters und welcher Nationalität, wie eine große Schafherde von einer kleinen wissenden Elite systematisch und zielgerichtet wie auf einem Schachbrett hin- und hergeschoben wird.
Mir scheint es, als wäre ich erst in den letzten Jahren zum denkenden Menschen erwacht, als wäre ich erst jetzt mündig geworden, und die gewonnenen Einsichten und Erfahrungen haben mir einen Einblick in die realen, jedoch für die überwältigende Mehrheit der Menschheit ver-deckten, gesellschaftlichen Verhältnisse gewährt. Zuweilen kann ich noch nicht recht glauben, was tatsächlich mit uns geschieht, und ich misstraue den vielen sichtbaren Zeichen und Botschaften. Doch Krieg, Not und das viele Elend auf der Welt bringen mich sehr schnell wieder in die traurige Realität und auf den Boden der Tatsachen zurück.
Der Zustand unserer Gesellschaft ist in zahlreichen wichtigen Angelegenheiten krank, der Vernunft zuwiderlaufend, ja man muss sagen, pervers. Vieles scheint invertiert und auf den Kopf gestellt. Die Medien verhindern den freien Journalismus und damit eine freie Meinungs-bildung, Politiker missachten das Grundgesetz und den Willen der Bevölkerung, Ökonomen zerstören Währung und Eigentum, Lehrer und Erzieher verhindern Kritik-fähigkeit und autonomes Denken und vieles andere mehr.
Warum können diese Verwerfungen in Erscheinung treten?
Weil die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit ihrer persönlichen Situation zufrieden ist, politisch abschaltet und die Gegebenheiten blindlings toleriert.
Ich mache mich mit meinen unverhüllten Ausführungen und Erklärungen angreifbar und das Risiko ist sehr groß, dass ich dafür in irgendeiner Ausformung kritisiert oder gar beschuldigt werde. Wer auf Ungerechtigkeiten auf-merksam macht und die wahren Hintergründe aufdeckt, wird vom herrschenden System erbarmungslos bekämpft und ausgegrenzt. Und doch spreche ich laut und deutlich im Sinne von Thomas Carlyle, dass es eine Ehre sei, einer Minderheit anzugehören, wenn deren Sache gerecht ist. Unser Gewissen sagt uns, was recht und unrecht ist, und wer Verant-wortungsbewusstsein besitzt, der empfindet zugleich Verpflichtung. Wem die Zukunft unserer Gesellschaft Sorge bereitet, der muss die Schieflagen ansprechen und einen öffentlichen Diskurs suchen.
Freunde halten mich für einen Gerechtigkeitsverfechter und ich mutmaße, dass diese Bezeichnung meinen inneren Intentionen sehr nahe kommt. Macht, Gier, Egoismus und selbstverschuldete Unmündigkeit stehen der Gerechtigkeit im Weg und sind das Pathogen, das überwunden werden muss. Dies kann gelingen, denn Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Solidarität sind Werte, die in jedem Menschen vorhanden sind – sie müssen lediglich wieder entfesselt werden.
Dies mag für viele eine naiv gesellschaftskritische Haltung sein, ich glaube jedoch, dass eine stetig wachsende Zahl von Menschen die heutige Zivilisation in direkter politischer und kultureller Reflexion als schlecht, manipuliert und bedrohlich empfindet, und eine Veränderung hin zum wahren Humanismus anstrebt.
Ich möchte noch ausdrücklich betonen, dass ich Krieg und rechtes Gedankengut verabscheue und strikt ablehne, und dass ich mich mit einer wahrhaftig freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung absolut identifiziere.
Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich 60 Jahre alt und in der Lehre tätig bin. Ich bin verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder, und lebe ohne besondere Highlights in einer kleinen Gemeinde auf dem Land.
Ich bin davon überzeugt, mit einer Arbeit von großer Wichtigkeit und Tragweite beschäftigt zu sein. Mir ist ebenfalls bewusst, dass meine Verfahrens- und Betrachtungsweise eine gewisse Selbstgefälligkeit aufweist. Gleichwohl ver-suche ich, die notwendige akademische Objektivität zu bewahren, um meine Kenntnisse und Einsichten dem nach-gewiesenen Sachverhalt entsprechend aufzuzeichnen. Aus dem Wunsch heraus, dieses Buch leicht lesbar zu gestalten, und um einen möglichst großen Leserkreis zu erreichen, nutze ich bewusst nicht die oft abstrakte wissenschaftliche Darstellung, sondern die erzählende Romanform. In diesem Zusammenhang habe ich notwendige Fußnoten auf ein Minimum reduziert. Die Gesprächszenen sind weitgehend authentisch oder wurden von mir um wichtige Details ergänzt, die Namen der handelnden Personen sowie die Örtlichkeiten sind aus Gründen des Persönlichkeitsrechtes geändert worden.
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12. Demokratie und Politik
Man kann sich verwirklichte Demokratie
nur als Gesellschaft von Mündigen vorstellen.
(Theodor W. Adorno)
Es war Wahlsonntag, Angelena und ich waren mit Kersten zum Essen verabredet. Auf dem Weg durch die Innenstadt zum Restaurant begegneten wir drei kleinen politisch organisierten Gruppen, die Transparente mit Wahlslogans ihrer Partei trugen und Flyer verteilten. Wir haben die Kraft; Verantwortung, Kompetenz, Nachhaltigkeit; Arbeit muss sich wieder lohnen; Freiheit statt Verbote; Bürgerrechte stärken waren nur einige ihrer ehrenwerten Leitsprüche, um das Votum der Bürger zu erhalten.
»Hast du bemerkt, dass die verschiedenen Parteien mit fast gleichen inhaltlichen Programmen werben?«, fragte Angelena und drückte mir ein Faltblatt mit roter Aufschrift in die Hand, das sie von einem Wahlhelfer bekommen hatte. Sie haben es in der Hand, stand dort fettgedruckt als Headline.
»Tatsächlich«, sagte ich. Während ich den Flyer in der Hand hielt, bestürmten mich die Gedanken. Ich durfte heute, nach vier Jahren, wieder meine Stimme als mündiger Staatsbürger abgeben. Ich durfte alle vier Jahre eine Partei und eine Person meines Vertrauens wählen und hoffen, dass sie meine Erwartungen erfüllen. Zu Angelena gewandt antwortete ich: »Der Unterschied in den Wahlprogrammen ist tatsächlich minimal, denn sämtliche Parteien und alle von ihnen aufgestellten Personen wollen an die politische Macht. Der Grund für die Ähnlichkeit ihrer Werbeslogans ist klar. Sie haben allesamt, ohne Ausnahme, Meinungsforschungsinstitute damit beauftragt, den Willen der Bürger zu ermitteln, und dem Ergebnis entsprechend sind die Texte auf ihren Plakaten, Transparenten und Flyern. Und wenn wir die Sprüche von heute mit denen von vor vier oder acht Jahren vergleichen, werden wir feststellen, dass sich, wenn überhaupt, lediglich der Parteiname verändert hat.«
Im Restaurant angekommen, begrüßte uns Kersten mit seiner Lebensgefährtin Dalida. »Seid ihr auch den Partei-menschen begegnet, die noch auf Stimmenfang gehen?«, fragte er. »Ich empfinde es vorbildhaft und bin beeindruckt, dass sich nicht wenige Menschen, ich habe meist junge Leute gesehen, derart mühevoll und aufwändig für ihre politischen Vorbilder und Ideale einsetzen.«
»Absolut«, sagte Angelena, »mir imponieren die vielen Wahlhelfer auch, gleichgültig welcher Coleur, die sich, ohne auf den eigenen Vorteil zu achten, für ihre Partei und damit für die Allgemeinheit einsetzen.«
»Der Idealismus ist in der Tat bewundernswert«, fügte ich hinzu, »was mir allerdings fehlt, ist das kritische Hinterfragen ihrer politischen Arbeit. Die Konzepte der Parteien und ihre Zielvorstellungen sind ausnahmslos identisch und auf die Wahrung des momentanen gesellschaftlichen Zu-standes ausgerichtet. Sie stellen unser politisches System mit seinen vielen Schieflagen nicht infrage, wie könnten sie auch, sie würden eventuell ihre eigene Existenz infrage stellen.«
»Ist es nicht unser aller Wunsch, die erreichten positiven gesellschaftlichen Verhältnisse des Landes aufrecht-zuerhalten oder zu verbessern?«, fragte Dalida.
»Ja und nein. Wollen wir auch weiterhin egoistisch unsere auf Ungerechtigkeit und Ungesetzlichkeit erlangten Privilegien beibehalten, hast du natürlich recht. Erkennen wir jedoch, dass unser Wohlstand auf dem Elend und der Armut anderer Länder und Menschen aufgebaut ist, und wollen wir das verändern, sind deutlich modifizierte Partei-enkonzepte oder gar ein gänzlich anderes politisches Gesamtkonzept erforderlich.«
»Ich denke, unser Mehrparteiensystem in der BRD ist das Fundament für unseren freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat«, übernahm Kersten das Gespräch. »Das Parlament, und damit indirekt die Regierung, wird durch freie Wahlen gewählt, und jeder Wahlberechtigte hat die Möglichkeit, seine politischen Vorstellungen durch die Wahl einer Partei beziehungsweise einer Person in das parlamentarische Geschehen einzubringen. Auf diesem Weg findet die Geisteshaltung der Mehrheit der Bevölkerung den Weg ins Parlament.«
»Das hoffen wir alle«, sagte Angelena, »aber eine Garantie dafür gibt es nicht. In der Wahlkampfphase versprechen die Parteien das Blaue vom Himmel, doch die Vergangenheit zeigt, dass in den überwiegenden Fällen die gemachten Versprechen nicht eingehalten werden. Meistens wird dann das Argument fehlender Finanzen als Rechtfertigung vorgebracht.«
»Traurigerweise ist das so«, sagte Dalida. »Wahlversprechen von Parteien sind keine Zusagen im Sinne zivilrecht-licher Vereinbarungen. Sie sind lediglich Instrumente des Wahlkampfs und gelten bestenfalls als Zustimmung, sich nach der Wahl für eine bestimmte Thematik einzusetzen. Man spricht in dem Zusammenhang vom „Clausula-rebus-sic-stantibus-Grund-satz“. Der Begriff stammt aus dem römischen Recht und besagt, dass die gemachten Versprechen nicht mehr gültig sind, wenn sich die äußeren Bedingungen ändern.«
»Obwohl die Parteien genau wissen, dass ihre Vorhaben nicht realisiert werden können, hält es sie nicht davon ab, immer mehr zu versprechen«, übernahm Angelena das Gespräch. »Der Wähler wird animiert, bei der Partei sein Kreuz zu machen, die seine Meinung und seine Hoffnungen vertritt, und muss später feststellen, dass die Wahlziele aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht umsetzbar sind. Das macht wütend. Die Bürger sollten doch nach all den Jahren der bewussten Manipulation dazugelernt haben, insbesondere da wir alle medial vernetzt sind und jeder sich hinreichend informieren kann. Es ist zu hoffen, dass das Wahlvolk aus seinen Fehlern lernt. Ist es wirklich so, dass zivilisierte den-kende Menschen so dumm sind und immer wieder die Partei wählen, die ihnen die meisten Wahlversprechen macht?«
»Anscheinend haben die Nachfahren der Dichter und Denker das kritische und differenzierte Denken verlernt, wie anders ist das politische Verhalten des sogenannten mündigen Staatsbürgers sonst zu erklären?«, ergänzte ich. »Ihm wird suggeriert, dass es staatsbürgerliche Pflicht ist zur Wahl zu gehen, und er geht und wählt nach Vorgabe der Versprechungen, die an-schließend nicht eingehalten werden.«
»Man kann das so nicht verallgemeinern«, warf Kersten ein, »die meisten Zusicherungen werden doch eingehalten, zumindest partiell!«
»Wirklich?«, fragte ich.
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